Sprungmarken

Wartburg

Die Wartburg in der Innenstadt Wiesbadens wurde ursprünglich als Vereinsheim des „Wiesbadener Männergesangvereins“ erbaut. Nach wechselvoller Geschichte dient sie seit 2003 dem Hessischen Staatstheater als weitere Spielstätte.

Details

Ende des 19. Jahrhunderts beschlossen die Mitglieder des 1841 gegründeten "Wiesbadener Männergesangvereins" die Errichtung eines eigenen Vereinsheims. Durch die großzügige finanzielle Unterstützung von Heinrich Albert konnte das Grundstück Schwalbacherstrasse 51 erworben werden. Am 12. Mai 1906 fand unter der Leitung der Architekten Lücke und Euler & Bergen die Grundsteinlegung des Gebäudes statt. Architektonisch wurden elegant geschwungene Formen des Jugendstils mit romanischen Bildvorlagen kombiniert. Ferner finden sich einzelne barocke und an antike Architektur angelehnte Züge. Besonders auffällig war das Relief in der Sandsteinfassade. Es zeigt neben Szenen aus der Oper Richard Wagners über den Sängerkrieg auf der Wartburg den damaligen kaiserlichen Hofdirigenten am Neuen Königlichen Hoftheater (später Hessisches Staatstheater Wiesbaden) Franz Mannstaedt sowie vier Sänger des Vereins.

Nach siebenmonatiger Bauzeit wurde das Vereinsheim am 9. Dezember 1906 mit einem glanzvollen Festakt eröffnet. Der Name wurde in Erinnerung an den legendären Sängerwettstreit auf der thüringischen Wartburg von 1206 gewählt. In den folgenden Jahren erlebte der Gesangverein und mit ihm sein Vereinsheim sowie das im Erdgeschoss eingerichtete Restaurant ihre Blütezeit. Der 400qm große Festsaal war bei zahlreichen Konzerten stets gut gefüllt und die Sänger wurden mehrfach mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Allerdings reichten die niedrigen Mitgliedsbeiträge nicht aus, um die gestiegenen Baukosten zu begleichen.

Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschlechterte sich die Situation des Vereins weiter, so dass seine Existenz nur durch den Einstieg der "Rheinischen Weingesellschaft" gesichert werden konnte. Während des Krieges ging die Zahl der rauschenden Feste stark zurück. Stattdessen hielt die jüdische Gemeinde ihre Gottesdienste in der Wartburg ab, da ihre Räumlichkeiten zu Lazaretten umgewandelt worden waren. Die Nachkriegszeit begann in Wiesbaden mit einer Kundgebung des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Gustav Raute. Da das Gewerkschaftshaus relativ klein war, wurde die Veranstaltung, bei der der Kaiser und seine Kriegspolitik scharf verurteilt wurden, in der Wartburg wiederholt.

Im Zuge der französischen Besatzung und der durch die Wirtschaftskrise verschärften Finanzsituation musste das Restaurant in der Wartburg schließen. Die ausbleibende Miete und die Inflation trafen den Gesangverein hart. 1923 musste er sein Vereinsheim an die Brauerei Henninger verkaufen. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Räumlichkeiten vom Wiesbadener Volks- und Bildungsverein sowie den Kulturorganisationen der Arbeiterbewegung belegt. Während des Dritten Reiches zog im Erdgeschoss erneut ein Restaurant ein und der große Saal wurde von zahlreichen Vereinen ausgiebig genutzt. Am 21. Januar 1939 fand beispielsweise ein Schauturnen des Wiesbadener Post-Turnvereins statt und im Frühjahr veranstaltete der Karnevalsverein Schierstein in der Wartburg eine Prunksitzung. Die Bombardierung Wiesbadens in der Nacht des 2./3. Februars 1945 überstand das Gebäude unbeschadet.

Nach Kriegsende verwandelten die amerikanischen Besatzer die Wartburg in einen Offiziersclub, der sich zu einem berüchtigten Treffpunkt entwickelte. Anfang der 1950er-Jahre beendeten die obersten Befehlshaber dieses Treiben und im Zuge des Wirtschaftswunders entwickelte sich die Wartburg zu einer seriöseren Nachtbar. Somit stand der große Saal den Wiesbadener Vereinen wieder für Feste und Vorführungen zur Verfügung.

Mitte des Jahrzehnts musste das Gebäude grundsaniert werden. Finanziert durch großzügige Zuwendungen wohlhabender Wiesbadener Bürger wurde am 28. April 1956 nach mehrmonatigen Bauarbeiten im Erdgeschoss die “City-Bar” eröffnet. Im Herbst folgten die “Dixie-Bar” im ersten Stockwerk und ein Varieté im großen Saal. Mit wechselnden Musikstilen in den 1960er-Jahren wechselten Pächter, Musiker und Publikum in den verschiedenen Lokalitäten. Das Gebäude litt unter den ständigen Umbaumaßnahmen und stand nur zehn Jahre nach der Grundsanierung kurz vor dem Abriss. Durch umfangreiche Sanierungen durch den neuen Pächter, der im Erdgeschoss ein bayerisches Restaurant mit dem Namen “Oberbayern” einrichtete, konnte dieses Schicksal abgewendet werden.

Nach zunächst sehr erfolgreichen Jahren musste das “Oberbayern” Ende der 1960er-Jahre mangels Kundschaft schließen. Anschließend wurde die Wartburg in den oberen Etagen als Trainingsstätte für Kampfsportler und Tennisspieler genutzt, während eine islamische Glaubensgemeinschaft Räume im Erdgeschoss belegte. Die Brauerei Henninger empfand das Gebäude nunmehr als Last, da sich kein schlüssiges Konzept für eine lohnende Nutzung finden ließ. 1978 kauften Mario Pfeifer und Toni Schütt, die seit 1972 die Diskothek “Candy” in der Wartburg betrieben, das gesamte Gebäude für 750.000 D-Mark. Bald darauf eröffnete im Erdgeschoss ein “Hard Rock Café” und die Mainzer Konzertagentur “alpha concerts” verwandelte den großen Saal in die “Wartburg Music-Hall”. Diese wurde trotz namhafter Künstler von den Wiesbadener Bürgern nur mäßig frequentiert, so dass die Konzertagentur und mit ihr die Disco und das “Hard Rock Café” 1980 die Wartburg verließen.

Nach längeren Sanierungsarbeiten eröffnete 1983 im Erdgeschoss das “Café Plantage”, das sich trotz mehrmals wechselnder Einrichtung und Pächter als bekannter Szene-Treff etablieren konnte. Im gleichen Jahr mietete sich unter großem Protest des Wiesbadener Bürgertums eine Vereinigung von Bhagwan-Jüngern in die oberen Etagen der Wartburg ein und verwandelte die Räume in einen Ort der Meditation und Besinnung. Der große Saal wurde mit Marmor ausgelegt und als nobler Tanzpalast genutzt. Nach zwei Jahren konnten die Sannyasins, Anhänger Bhagwans, trotz guter Besucherzahlen und einem geschätzten Jahresumsatz von einer Million D-Mark ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Nachdem die ESWE den Strom abgestellt hatte, mussten sie das Gebäude verlassen.

Im Jahr 1986 übernahmen die Betreiber des “Café Plantage” die oberen Räumlichkeiten der Wartburg und boten bis in die 1990er-Jahre Platz für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen populärer Künstler. Nach einigen erfolgreichen Jahren wechselte das ehemalige Sängerheim 1992 den Besitzer. Für 5,8 Millionen D-Mark übernahm die Stadt Wiesbaden das Gebäude, um die Wartburg als Treffpunkt für die Jugend zu erhalten. Bis zur Schließung des großen Saals wegen Einsturzgefahr 1994 fanden unter zahlreichen Kneipen- und Discothekenbetreibern Schüler- und Studentenfeiern statt. Nach einer erneuten Sanierung eröffneten Mitte der 1990er-Jahre mit der polnischen “Lot” und der russischen “Gagarin” osteuropäische Discotheken. Nachdem bei dortigen Veranstaltungen wiederholt Gesetzesübertretungen festgestellt wurden, entschied sich die Stadt um die Jahrtausendwende, die Wartburg entsprechend den Vorstellungen der Erbauer wieder der hohen Kunst zuzuführen.

Nach umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten wurde am 15. Mai 2003 eine neue Spielstätte des Wiesbadener Staatstheaters eingeweiht. Im Erdgeschoss soll erneut ein gastronomischer Betrieb einziehen. Mit der heutigen Nutzung kehrt die Wartburg nach einer bewegten Geschichte zu ihren künstlerischen und kulinarischen Wurzeln zurück, die sie auch in Zukunft prägen werden.

Literatur

Die Wartburg an der Schwalbacher Straße. Stadtarchiv Wiesbaden
2 / 2